Adeus, Timor - unser Abschied nehmen

Veröffentlicht am 11. Mai 2024 um 10:03

Unser letzter Monat war sowohl sehr emotional als auch sehr voll. Abschiede sind für Timoresen, das haben wir sehr stark gemerkt, sehr wichtig und nichts, was man einfach mal so, schnell schnell, am Flughafen machen kann. Im Abschied der Timoresen werden die negativen Erfahrungen (die sie mit uns hoffentlich nicht so oft hatten) ausgeklammert und man erinnert sich der schönen, gemeinsamen Zeit. Unsere Abschiedsreihe zog sich über unsere letzten drei/vier Wochen im Land. Es hat angefangen mit dem 8. April. Wir haben hier unser neues Package gestartet - hatten also wieder einen Orientationday, vielleicht erinnert ihr euch?! - und haben auch unsere ehemaligen Schüler*innen verabschiedet und ihnen ihre Zeugnisse ausgehändigt. Es war insgesamt etwas stressig, weil Umbelina, die Lehrerin mit der ich zusammenarbeite, nach Suai in ihre Heimatstadt fahren musst, weil einer ihrer Cousins überraschend verstorben ist. Sie hat also auf die 8stündige Fahrt, die wir vorherige Woche gemacht haben, eingelassen - auf dem Moped! Sie war dementsprechend nicht da und so musste ich morgens noch etwa die Hälfte der Zeugnisse für meine Schüler*innen vorbereiten, was gar nicht so einfach war. Zum Glück habe ich bei den letzten Vorbereitungen zugeschaut und so konnte ich wenigstens einfach vor mich hinarbeiten, während die anderen alle beim Orientationday geholfen haben. Umbelina wurde an mehreren Stellen vermisst: normalerweise schmeißt sie solche Tage immer fast alleine und so waren alle etwas durcheinander.

Letztendlich konnten wir aber am Nachmittag beginnen die Zeugnisse zu verteilen und das Package gut zu beenden. Es gab nach der Feier dann noch eine kleine Abschiedsfeier für uns: unsere Schüler*innen hatten Geschenke besorgt und wir haben ganz viele Fotos zusammen gemacht, damit wir uns nicht gegenseitig vergessen. Für uns kam es sehr überraschend, dass die erste Abschiedszeremonie jetzt schon beginnt, drei Wochen vor unserer eigentlichen Abreise. Zumal wir viele der Schüler*innen auch noch weiter unterrichtet haben. Nichts desto trotz haben wir uns sehr gefreut, auch weil unsere Tais-Sammlung - das sind die traditionell gewebten „Schals“ über die ich bereits geschrieben habe; sie sind ein Zeichen für Familien - Zugehörigkeit. Sie sind seit 2021 anerkannt als UNESCO-Weltkulturerbe: Tais, traditional textile - intangible heritage - Culture Sector - UNESCO

Das war unsere erste Abschiedsrunde, die uns doch sehr klar vor Augen geführt hat, dass wir wirklich nicht mehr lange da sein werden. Wir haben also dann auch selbst angefangen unseren Abschied zu planen; Abschiedstreffen mit unseren Freunden vereinbart, Mitbringsel besorgt, Abschiedsgeschenke überlegt, unsere Sachen verschenken oder weitergeben (gerade zum Beispiel meinen Schrank, die Mosquito-Netze oder auch einzelne Klamotten. Wir haben über die nächsten Wochen all diese Dinge bearbeitet und uns so schleichend aufs nachhause fliegen vorbereitet.

Sister Sonia, unser Boss, hat das nicht ganz so schleichend gemacht: am Samstag, den 13.4., sind wir mit unserem Kollegium nach Liquisa gefahren. Liquisa ist ein eignender District und liegt etwa eine Stunde westlich von Dili. Wenn man nach Westtimor, also Indonesien fahren möchte ist Liquisa einer der letzten Orte vor der Grenze. Wir haben den Tag an einem Community-Pool verbracht, haben gegrillt - nicht nur Hühnchen, sondern auch Auberginen (es ist gerade Session!!) - und waren schwimmen. Wir haben gemeinsam alles vorbereitet, Gemüse geschnitten und den Tisch gedeckt. Es gab wieder einmal ein Buffet. Während dem Essen haben wir mit Sister Sonia zusammen gesessen und sie hat uns gebeten ihr eine Rückmeldung über das Center zu geben; wir sollten sagen was uns stört, was wir gut finden und was wir ändern würden. Grundsätzlich haben wir die Arbeit dort wirklich sehr genossen und kamen ja auch mit unseren Kolleginnen sehr gut klar, das Gespräch war also überwiegend positiv!

Wir haben außerdem über unsere Nachfolgerinnen gesprochen, die im September nach Timor kommen. Leider können sie nicht in der selben Unterkunft bleiben, in der wir gelebt haben. Wir haben dort zwar die ganze Zeit gelebt, aber es waren keine entsprechenden Umstände für Freiwillige und wir haben uns - in Absprache mit MISEREOR - dazu entschieden diese Unterkunft für die nächsten Freiwilligen auszuschließen. Wenn man eine solch krasse Auslandserfahrung macht, wie wir sie erlebt haben, muss man eigentlich in einem Zuhause leben, dass einem nicht noch zusätzlichen Stress macht. Sister Sonia war sehr verständnisvoll und hat uns gebeten mit ihr nächste Woche eine Wohnung anzuschauen, ob sie für die nächsten Freiwilligen eine Möglichkeit wäre. Ich freue mich sehr, dass wir eine gute Unterkunft für die nächsten gefunden haben und wir sie so auch guten Gewissens erklommen lassen können.

Nach unserer Evaluation mit Sister Sonia waren wir nochmal schwimmen, was sehr schön ist und was man bei dieser Hitze eigentlich die ganze Zeit machen müsste.

Wir haben dann kurz vor unserer Rückfahrt, noch eine Abschiedsrunde mit allen abgehalten. Wir haben wieder sehr viele Geschenke bekommen (womit wir überhaupt nicht gerechnet haben, weil es immer noch fast zwei Wochen bis zu unserer Abreise hin waren) und haben gaaannnnnzzzz viele Fotos gemacht. Unser Tais- und unser Kaffeebestand hat sich nochmal vervielfacht.

Auf dem Rückweg konnten wir den Frachthafen auch mal ein bisschen sehen - ich habe mich immer gewundert, warum es in Dili keinen großen Hafen gibt, stellt sich heraus: er ist in Liquisa. Hier werden also alle importierten Güter angenommen. Der Hafen existiert erst so richtig seit 2022, davor gab es mehrere kleine Häfen. Seit zwei Jahren können also auch richtig große Güter in Empfang genommen werden - Bilder findet ihr, wie immer, unten.

Einen Tag später kam dann mal wieder eine sehr große Überraschung. Wir waren bei einem Opernkonzert. Timor hat eigentlich keine Oper und ich dachte, naiv wie ich bin, dass es dann auch insgesamt keine Opernsänger*innen gibt und es dafür kein Interesse gibt. Falsch gedacht.

Inge, die Misereor-Mitarbeiterin mit der wir Ostern verbracht haben, hat uns von dem Konzert erzählt, weil es von einer Freundin von ihr organisiert wurde. Lidia ist Opernsängerin und wird im Mai für drei Monate nach Deutschland gehen, um in Karlsruhe Gesang zu studieren. Es war wirklich richtig beeindruckend und schön: sie haben klassische Stücke gesungen - viel von Mozart - aber auch Songs aus Filmen gesungen. Ich war wirklich sehr beeindruckt wie gut sie performt haben!

In der Mitte der letzten Woche, die wir hier waren, ist uns dann etwas sehr irritierendes aufgefallen. Wir sind mit dem Mikrolet Richtung Timor-Plaza gefahren, weil wir letzte Abschiedgeschenke besorgen wollten, als wir plötzlich statt den kleinen Hütten am Straßenrand nur noch Schutt gesehen haben. Wir waren ziemlich erschrocken, weil das immer sehr lebhafte Orte waren; Geschäfte, Barbershops, Gemüsestände oder kleine Wohnhäuser. Das lag jetzt alles in Schutt. Wir haben dann eine Schülerin, die zufällig mit uns gefahren ist, gefragt was passiert ist und sie hat uns erklärt, dass das eine Regierungsmaßnahme war. Später, beim Essen mit Octavio einem Timoresen, der in Deutschland studiert hat, hat er uns erklärt, dass die Regierung versucht die illegalen „Slums“ an den Straßenrändern zu entfernen, weil sie das Stadtbild zerstören. Der Platz wird jetzt für eine Vergrößerung der Straße genutzt. Natürlich ist es nicht besonders schön einfach an freien Stellen der Stadt kleine Hütten zu bauen und ein Geschäft zu eröffnen, obwohl die Fläche eigentlich der Stadt gehört. Aber so hat die Infrastruktur hier nunmal funktioniert und der einzige Markt in Lecidere ist so jetzt zerstört worden. Das bedeutet, dass sowohl die Händler*innen als auch die Käufer*innen etwa 30Minuten durch die Stadt fahren müssen, um auf einem großen Markt ihre Produkt zu verkaufen oder zu kaufen. Die Regierung, so hat es uns Octavio erklärt, versucht die Infrastruktur zu verbessern, fokussiert sich dabei aber allein auf die Straßen und lässt die anderen Teile von Infrastruktur einfach außer acht.

Eine weitere Regierungsmaßnahme, etwas anderer Natur, hat auch etwa zu dieser Zeit begonnen: der Pabst wird - hoffentlich - im September nach Timor kommen. Er wird der zweite Pabst sein, der Timor betritt. Noch heute schwärmen alle von Pabst Johannes Paul ll., der als erster Pabst vor 35 Jahren in Timor war. Es gibt eine riesige Statue von ihm in der Stadt. Vielleicht könnt ihr euch so ungefähr vorstellen, was es bedeutet, dass wieder einmal ein Pabst sich auf die Reise macht. Dafür werden gerade viele Regierungsgelder locker gemacht und es gibt verschiedene Verschönerungsmaßnahmen. Die Kathedrale wird neu angestrichen, der Platz der Proklamation und Unabhängigkeit wird aufpoliert und das heilige Haus, was dort steht, wird neu angestrichen und mit dem Gesicht Pabst Franziskus‘ versehen. Es wird von einer Summe von etwa 12Millionen US-Dollar ausgegangen. Dafür, dass der Pabst drei Tage in Dili ist. Man kann sich also etwa vorstellen WIE bedeutend es ist, dass der Pabst kommt. All das haben wir im Rahmen unserer Abschiedstreffen mit Octavio erfahren - ihr merkt, unsere Wochen waren wirklich voll mit Verabschiedungen.

Am selben Abend sind wir dann für ein Abschiedsessen bei den Nonnen gewesen mit denen wir zusammen gearbeitet haben und die wir auf viele Feste begleiten durften. Es war sehr wichtig für uns, aber auch für Sister Sonia, dass wir nochmal in Ruhe Zeit haben uns mit allen zu unterhalten. Es ist sowieso immer super nett und lustig mit den Nonnen.

 

Am Freitag war dann unser letzter Arbeitstag und wir haben uns von jeder unserer Klasse verabschiedet, wurden von den kleinen Kindern verabschiedet und haben bei einem großen Mittagessen mit dem Kollegium unsere Abschiedsgeschenke vergeben und Pizza mitgebracht. Das war der erste Moment, wo sich der Abschied ein bisschen wirklicher angefühlt hat und wir waren schon sehr traurig, weil wir alle schon sehr lieb gewonnen haben. Es war für mich sehr überraschend wie viel Schüler*innen auch ehrlich traurig waren und wie vielen es wichtig war sich nochmal einzeln zu verabschieden. Manchmal hab ich in der Masse ein bisschen vergessen gehabt wie wichtig es auch für die einzelnen war, dass wir Zeit mit ihnen verbracht haben. Es war ein sehr ergreifender Tag und ich war sehr froh, dass wir wirklich für alle ausgiebig Zeit hatten. Abends haben wir nochmal mit der Gastfamilie gegessen und zusammen gesessen und gequatscht. Wir haben denselben Kuchen wie an Weihnachten gegessen und irgendwie war es sehr schon diese Tradition nochmal zu machen. Es war sehr gut, dass wir unseren Abschied in Ruhe gemacht haben und auch, dass wir das Wochenende nochmal Zeit hatten in Ruhe zu packen und uns auf den Flug am Montag vorbereiten können.

Am Sonntag morgen um kurz vor sieben hat uns Sister Sonia dann abgeholt, weil sie nochmal mit uns in die Kathedrale gehen wollte. Wir waren danach noch gemeinsam eine Kleinigkeit frühstücken, bevor Maria und ich dann nochmal in die zweite Messe gegangen sind, weil wir uns bei der Gemeinde bei uns vor Ort richtig verabschieden wollten. Wir haben also nochmal die volle Runde Messen mitgenommen.

Am Montag morgen haben wir noch unsere letzten Sachen gepackt und sind dann ein letztes Mal zum Strand gegangen und haben eine Kokosnuss gegessen.

Wir wurden dann, nachdem wir uns nochmal schnell im CMTC verabschiedet haben, zum Flughafen gefahren und haben uns nochmal verabschiedet. Es war schon sehr traurig.

 

Es fühlt sich, immer noch, sehr komisch an nicht mehr in Timor zu sein und den Freiwilligendienst wirklich beendet zu haben. Wir sind zwar noch nicht ganz daheim, wir machen gerade noch zwei Wochen Urlaub auf Bali, was sehr schön ist, weil wir so Timor ein bisschen besser abschließen können. Ich bin auf der einen Seite sehr froh, erleichtert und stolz, dass wir es zu Ende gebracht haben und trotz aller Schwierigkeiten positiv geblieben sind und unterm Strich auch eine echt tolle und ereignisreiche Zeit hatten für die ich sehr dankbar bin. Auf der anderen Seite ist verabschieden immer auch ein bisschen traurig und ich werde schon unsere ganzen Freunde und Bekannte vermissen. Und natürlich auch das ganze Land Timor-Leste, das sich über die vergangenen 8 Monate in unser Herz geschlichen hat. Ich werde das ganz schön vermissen!

 

Ich werde diesen Blog vielleicht aus Deutschland heraus nochmal bespielen und euch nochmal ein kleines Update über mein Ankommen geben.

Nichtsdestotrotz, möchte ich mich hier schonmal bedanken. Danke, dass ihr mich auf meiner Reise begleitet habt, mitgefiebert habt und immer neugierig auf meine Erzählungen wart. Das hat mir viel bedeutet und mich sehr motiviert diesen Blog weiter zu führen und mehr von Timor und meinen Abenteuern zu erzählen. Ich freue mich sehr, dass ihr ein Fenster nach Timor hattet und ein Teil meiner Reise wart. Vielen Dank!!


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