Deutsche Unhöflichkeiten, „fase bikan“, Cristo Rei und Riesenspinnen - unser erster Monat

Veröffentlicht am 2. Oktober 2023 um 12:44

Der erste Monat ist rum. Und die ersten Schwierigkeiten auch - zumindest die meisten.

Wir hatten mit Stromausfällen, abgestürzten Moskitonetzen, einem sehr nahekommenden Premierminister und wirklich großen Spinnen zu kämpfen. Wir waren aber auch bei unserem ersten Auswärtsspiel unserer kleinen, sehr chaotischen Fußballmannschaft, bei einer Jubiläumsfeier von einer Nonne, bei einer Graduationparty und haben viel getanzt, gelacht und gearbeitet.

Aber eins nach dem anderen: Nach unserer Tetunclass, hatten wir am 18.09. unseren ersten Arbeitstag. Wir haben ohne viel zögern direkt mit dem Unterricht gestartet, sollten Präsentationen erstellen und Grammatiklektionen erarbeiten. Der Unterricht macht uns sehr viel Spass, die „Kinder“ sind toll - und zwischen 18-24 Jahre alt, also kaum mehr wirklich Kinder -, auch mit unseren Kolleg*innen haben wir sehr viel Glück. Mit der Pünktlichkeit nehmen es die Schüler*innen leider wirklich gar nicht so genau, manchmal wird einfach eine Stunde zu spät erschienen. Das habe ich genau zwei Tage ausgehalten bevor ich irgendwann gesagt habe, dass es in meinem Land nichts unhöflicheres gibt als eine Stunde zu spät zu kommen und dann auch noch Krach zu machen. Seitdem kommen sie nur noch eine halbe Stunde zu spät. Immerhin!

Die letzten zwei Wochen ist das Semester zu Ende gegangen (hier gibt es „Packs“, die immer drei Monate gehen und dann mit einem Zertifikat ausgezeichnet werden. Danach kann man sich noch weiter anmelden und ins nächste Level kommen oder, wenn einem das Zertifikat ausreicht, aussteigen). Bedeutet wir mussten unglaublich viel korrigieren, Speaking exams vorbereiten und halten und Noten vergeben. Ich hatte zwischen zeitlich viel Mitleid mit allen Lehrer*innen, aber besonders viel mit mir selbst ;). Ich habe die letzte Woche 200 exams korrigiert und 50 speaking exams geprüft. In meiner zweiten Arbeitswoche… Auch wenn das jetzt nach sehr viel Arbeit klingt, ist es auch immer mit viel Freude verbunden, die Schüler*innen reden gerne mit mir - zumindest scheint es so.. - und sind auch nicht mehr halb so schüchtern wie am Anfang noch. Das gibt uns einfach sehr das Gefühl, dass unsere Anwesenheit langsam aber sicher wirklich einen Unterschied macht.

 

 

 

Neben der ganzen Arbeit erleben wir natürlich auch viele spassige Sachen; so waren wir zum Beispiel auf der 50. Religiöses Leben- Feier einer Nonne und haben gemeinsam gegessen und vor allem viel getanzt. Mit den Nonnen ist es eine große Freude zu Tanzen und sie freuen sich immer sehr, wenn sie uns ihre timorlesischen Tänze beibringen können, auch wenn wir uns noch sehr blöd anstellen. Auf dieser Feier ist uns auch - mal wieder - ein sehr lustiges sprachliches Missverständnis passiert.  Die Männer müssen dabei das Feuer bewachen während die Frauen schonmal den Reis und das Gemüse verteilen. Bei solchen Feierlichkeiten zeigt sich die klare Rollenverteilung extremer denn je; zum Beispiel trinken ausschließlich die Männer Alkohol, weil es „gut für ihre Gesundheit“ ist, „für uns Frauen ist allerdings zu scharf“.

Ein weiteres sehr klares Beispiel dieser patriarchalen Gesellschaft ist unsere Begegnung mit dem aktuell amtierenden timorlesischen Premierminister. Wir haben ihn auf einem Straßenfest bei uns in der Nachbarschaft gesehen und wurden ihm direkt vorgestellt. Er war definitiv nicht so gekleidet wie ich das von einem deutschen Staatsoberhaupt erwarten würde; sehr lässig in T-Shirt und Jeans, hat er auf uns erstmal eher wie ein sehr entspannter Großvater gewirkt als ein Politiker. Als wir ihm vorgestellt wurden hat er uns - intensiver als das notwendig gewesen wäre - die Hand geküsst und auch als wir mit ihm ein Foto gemacht haben, waren wir ihm näher als wir das gewollt hätten, auch das Wangenküsschen hätte ich persönlich wirklich nicht gebraucht. Zuerst waren wir schrecklich wütend, auf die Situation, auf die Menschen drum rum, die Fotos geschossen habe, aber vor allem auf unsere Gastschwester, dass sie uns in diese Situation hat rennen lassen ohne uns vorzuwarnen, dass der Premierminister sich gerne mal so verhält. Wir sind auch ein bisschen in das Gefühl der Ungläubigkeit gerutscht, weil einfach alles an dieser Situation unvorstellbar war. Stellt euch mal vor Olaf Scholz würde so mit zwei jungen Timorlesinnen umgehen. Das wäre nichts geringeres als ein internationaler Staatsskandal.

Wir haben uns also, als wir wieder zuhause waren, an MISEREOR gewandt, die uns sofort geantwortet habe und am nächsten Tag mit uns telefonieren wollten.

Bei dem Telefonat haben sie uns - nachdem sie sich sehr feinfühlig unsere Geschichte angehört haben - mehr zu besagtem Premierminister erzählt; stellt sich heraus, dass Xanana Gusmão einer DER Widerstandskämpfer gegen Indonesiens Besatzung war und sowohl Kämpfertruppen unterstützt hat, als auch für Organisation des Widerstandes gesorgt hat. Heute ist er einer der berühmtesten und beliebtesten Guerilla-Kämpfer Timor-Lestes. Und auch wenn das keine Entschädigung für sein mehr als komisches Verhalten ist, hat es uns verstehen lassen, warum niemand etwas gegen ihn gesagt hat. Man kann den absoluten Nationalhelden und Premierminister Timor-Lestes nicht stoppen.

Abgesehen von dem kleinen Zwischenfall hatten wir eine tolle Zeit auf dem Night Market; es gab richtig viele coole Sachen zu testen; Dumplings, Potato chips, Ice shakes und Burgersandwiches, besonders die Tatsache, dass wir davon keinen stundenlangen Toilettenaufenthalt beschert bekommen haben hat uns sehr sehr glücklich gemacht - so wie auch die Tatsache, dass es mal keinen Reis gab.

 

 

 

Eine Sache, die uns hier wirklich alles erleichtert, sind die Kinder. Jeden Tag, wenn wir zur Schule kommen, rennen sie auf uns zu, sagen „hallo“ und geben uns „high 5“ oder die Hand. Sie tricksen uns beim Verkauf von Süßigkeiten - sehr erfolgreich - aus und spielen mit uns deutsche Klatschspiele (siehe Bild).

An unserem zweiten Arbeitstag hat mich Sister Sonia dann zum Fußballcoach ernannt und mir Trikot und Trillerpfeife in die Hand gedrückt und gesagt, dass am Donnerstag - also knappe zwei Tage später - das erste Auswärtsspiel ansteht. Ich habe also mein Bestes gegeben und versucht die ca 50 Kinder in der Fußballmannschaft in eine tatsächliche Mannschaft zu verwandeln.

Am Donnerstag Nachmittag sind wir dann allesamt zu einer anderen Schule etwas außerhalb gefahren und saßen mit der Jungsmannschaft auf der offenen Fläche eines Trucks. Das war sowohl für uns als auch für die Kinder ein Heidenspass!!

Wir haben leider von drei Spielen kein einziges gewonnen, könnte aber zum Beispiel an unserer Arbeitsmoral liegen - nach wenigen Minuten des ersten Spiels saßen schon die ersten Jungs völlig erschöpft in der Mitte des Spielfelds. Unsere Niederlagen konnten uns aber nicht vom Feiern abhalten und so haben wir mit Pizza und sehr süsser Limonade unsere gute Zeit gefeiert.

Leider hat sich Sister Sonia einen Tag später, beim Fußball spielen, den Arm gebrochen und ist seitdem zuhause geblieben, was unseren weiteren Fussballweg erstmal auf Eis legt.

 

Wie wichtig die Rolle der Kinder in Timor-Leste ist, sieht man besonders nach den Messen sehr gut. Am Ende von jeder Messe werden alle anwesenden Kinder nach vorne gebeten und mit Weihwasser gesegnet. Dabei geht es sowohl dem Priester als auch den Kindern scheinbar darum möglichst viel Wasser zu verteilen bzw. möglichst nass zu werden. Aber wer will es ihnen bei dieser Hitze verübeln ?

 

Ein sehr übliches Alltagsproblem von uns ist der nicht vorhandene Strom und das damit einhergehende nicht vorhandene Wasser. Stromausfälle sind hier allerdings so üblich, dass die Menschen nur noch mit den Schultern zucken und einfach wieder auf Strom warten, selbst der Unterricht geht trotz nicht vorhandener Klimaanlage oder ohne Beamer einfach weiter.

Das fehlende Wasser schmerzt da schon etwas mehr, vor allem wenn man gerade in der Dusche steht. Aber auch damit kann man sich abfinden :)

Womit ich mich leider ganz und gar nicht abfinden kann, sind die Spinnen. Letzte Woche bin ich, ohne viele Hintergedanken, auf die Toilette gegangen. Dann habe ich mich kurz einmal umgesehen und - ungelogen - eine RIESENgrosse Spinne gesehen. Die war locker 15cm groß und hat mich sehr intensiv angeschaut. Ich habe also das einzig vernünftige gemacht; ich bin schreiend raus gerannt und habe Nadia, unsere Gastschwester geholt. Sie hatte allerdings selbst Angst vor der Spinne, ganz genau wie unser Gastvater, der die aber letztendlich vernichtet hat. Solche Schreckensmomente gibt es leider immer wieder - vorgestern in meinem Zimmer (siehe Bild) und macht es uns ein bisschen schwerer uns hier wohl zu fühlen.

 

Zum Abschluss würde ich gerne noch von der Zertifikatübergabe erzählen, die am Samstag - 30.09. - stattgefunden hat.

Zunächst wurde die Nationalhymne gesungen, dann haben wir gebetet und anschließend die Zertifikate übergeben. Im Anschluss haben wir getanzt und gesungen - erst timorlesischen Tänze, später auch Walzer und Disko Fox. Das hat allen sehr sehr viel Spaß gemacht.

Ab heute bereiten wir das neue Pack vor; heißt sehr sehr viel Office work, das macht uns aber auch sehr viel Spaß.

 

 

Fazit: Vieles läuft absolut noch nicht gut und auch wenn ich mir vornehme nicht bei jedem Tier zu zucken gelingt es eher selten. Aber auf der anderen Seite merke ich, dass ich immer mehr ankomme. Mein Zimmer richte ich nach und nach mehr ein, sodass es sich so langsam nach „meinem Zimmer“ anfühlt, auch bei der Arbeit merke ich wie wir immer routinierter werden und wir immer souveräner werden. Das ist ein sehr schönes Gefühl.


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