Kaum zu glauben, aber es ist tatsächlich schon wieder ein Monat um. Und sicher klingt es langsam platt, aber muss auch diesen Blogeintrag damit beginnen: wir haben in diesem Monat schon wieder unglaublich viel erlebt, gesehen, haben gestaunt und waren auch sehr erschrocken.
Der Oktober hat für uns sehr freundlich begonnen; am 3.10. haben wir sehr normal in den Tag gestartet - natürlich sehr wohl in dem Bewusstsein das unsere Familien einen entspannten freien Tag genießen können. Um unseren Tag der Wiedervereinigung trotz Arbeit entsprechend zu feiern waren wir vietnamesische Nudeln essen und danach bei der einzigen DHL-Station in ganz Timor Lesté um einen Brief in die Heimat zu schicken. Leider hat sich bei diesem Besuch herausgestellt das ein kleiner Brief nach Köln ganze 123,87€ kosten würde - zumindest wenn man es mit eben dieser DHL-Station verschickt. Wir haben seit dem vor das National Postoffice aufzusuchen - das wohl deutlich preiswerter sein soll- , sind aber noch nicht dazu gekommen. Die gute Nachricht, die sich bei unserem Besuch bei DHL herausgestellt hat, ist, dass wir von dort zumindest Pakete empfangen können. Eine sehr große Erleichterung, da wir keine richtige Postadresse für unser Haus haben. Also haben wir fleißig unseren Familien Listen mit den Dingen geschickt, die wir hier so schrecklich vermissen (hauptsächlich Haribo, “nimm 2” und Brause). Die Pakete sind wenig später losgeschickt worden, bis jetzt sind sie noch nicht in Timor (Marias Paket aber zumindest schon mal in Australien).
Damit - so dachten wir - hatten wir unsere Feierlichkeiten beendet. Als es dann um halb 6 an unsere Tür geklopft hat, wurden wir eines besseren belehrt. Ein entfernter Cousin von unserer Gastschwester, der mal 5 Jahre in Deutschland gelebt hat, stand davor und sagte uns wir sollen uns fertig machen, er würde uns in 20Minuten abholen und zu einem “Deutsche Treffen” (seine Worte, nicht meine) bringen. Wir haben uns also in Windeseile fertig gemacht und sind dann mit ihm zum “Alea blanca”-Strand gefahren. Dort war eine Leinwand auf Stelzen ins Meer gebaut und davor im Sand viele einzelne Tischgruppen. Wir wurden dort von Lena empfangen, der deutschen Honorakonsularin hier in Dili. Sie hat uns erstmal mit Orangensaft versorgt und uns erzählt, dass wir gleich einen Film gucken würden und deutsches Essen serviert bekommen würden. Während der Zeit der Überbrückung bis zum Essen - auf das wir jetzt mehr als gespannt waren - haben wir uns mit einem Diplomat aus der indonesischen Botschaft unterhalten, der in Dresden studiert hat. Er war sehr erfreut, dass er jetzt noch jemand kennt mit dem er deutsch sprechen kann.
Dann schließlich kam der Aufruf, dass wir uns setzen sollten; der Film über Thomas Höpker, ein deutscher Fotograf, begann. Während den ersten Minuten wurden uns dann riesige Teller gebracht, auf denen genau das zu finden war, was ein deutsches Herz im Ausland höher schlagen lässt; Kartoffelsalat - leider nicht so gut wie der meiner Oma, Wiener Würstchen, Brezeln, Senf und vor allem Leberkäs. Maria und ich konnten unser Glück kaum fassen und haben über diese Glücksmomente des Essen den Film nicht ganz aufmerksam verfolgt. Aber vor einer Stunde hätten wir uns im Leben nicht vorstellen können, dass wir gleich am Strand sitzen, bei Sonnenuntergang einen Film auf deutsch sehen und dabei Brezeln und Kartoffelsalat essen können. Der krönende Abschluss kam dann, als uns warmer Apfelstrudel mit Vanillesoße gebracht wurde. Bis jetzt weiß ich nicht, ob das wirklich passiert ist oder nur ein wirklich viel zu schöner Traum war - die Bilder (unten) erzählen aber eine eindeutige Geschichte.
In der selben Woche - um genau zu sein am 7.10. - waren wir dann noch bei einer Hochzeitsfeier eingeladen. Die Messe war schon früher am Tag, wir sind wirklich nur zum Essen und Tanzen gekommen. Wir mussten uns sehr schick anziehen - unsere Gastschwester hat uns sehr klar kommuniziert welche Kleider gehen und welche wirklich nicht gehen (für Maria hatten wir in der Woche zuvor extra ein Kleid kaufen müssen). Auch Nadia und unsere Gastmutter haben sich wirklich rausgeputzt und dann ging es mit dem Taxi zur Location. Es war ein roter Teppich aufgebaut und viele Stühle, die alle in Richtung einer sehr großen, weißen Couch gezeigt haben. Wir haben uns also auf die Plastikstühle gesetzt, bei denen man leider sehr deutlich merkt, dass sie für Menschen gebaut worden sind, die so um die 1.60m groß sind, und gewartet. Nach etwa einer Stunde warten und quatschen kam dann das Brautpaar über den roten Teppich spaziert - die Braut in sehr ausladendem weißen Kleid, der Bräutigam in weißem Anzug mit Weste und Krawatte -, alle Hochzeitsgäste, wahrscheinlich insgesamt um die 250Menschen, sind aufgestanden und haben das Brautpaar bewundert. Es wurde geklatscht und “Perfect” von Ed Sheeran gespielt. Auf einmal hat es sich gar nicht so weit von einer deutschen Hochzeit entfernt angefühlt, auch wenn ich zuvor noch nie auf einer so dramatischen und kitschigen Hochzeit war. Als sich das Brautpaar dann auf die Coach gesetzt hat, wurden Namen vorgelesen von engen Familienmitgliedern, Freunden oder Kollegen. Aus jedem Lebensbereich wird mindestens eine Person nach vorne gebeten. Sie alle versammeln sich, mit dem Brautpaar, um einen Tisch auf dem Kuchen und Sekt steht. Das ist eine sehr typische Art zu feiern, wir konnten das auch schon bei Geburtstagen oder Feiertagen beobachten. Jede Person - oder zumindest jeder Mann - bekommt eine Sektflasche, die dann kräftig geschüttelt wird. Auf 3 werden dann die Korken gezogen und im besten Fall sprudelt der Sekt Fontäne-mäßig nach oben. Schließlich bekommt jeder - sogar Frauen, für die sonst Alkohol eher “zu stark” ist - ein Gläschen Sekt. Dann wird der Kuchen vom Brautpaar angeschnitten und verkostet. Die anderen bekommen noch keinen Kuchen, dass kommt nach dem Buffet.
Nach der Kuchenverkostung musste dann das Brautpaar, gemeinsam mit den Eltern beider und den Trauzeugen, den ersten Tanz hinlegen. Erst danach wird das Buffet eröffnet.
Bei solchen Buffets, die es eigentlich regelmäßig bei Geburtstagen oder Hochzeiten gibt, gibt es meistens Reis (sogar verschiedene Sorten), Hühnchen (auch mit sehr vielen verschiedenen Gewürzen, sodass es immer eine bunte Mischung gibt), Gemüse (meistens sowas wie Blumenkohl, Paprika, Tomate und Salat - oft sehr scharf!!!) und Brot mit verschiedenen Fleischfüllungen. Hierbei kennt niemand Geduld, in binnen von Sekunden reiht sich jeder in die Essenschlage ein, obwohl jede Platte auf dem Buffet regelmäßig nachgefüllt wird. Hier geht man allerdings nur einmal zum Buffet.
Sehr zur Marias Freude gab es dann nach dem Buffet auch noch Nachtisch. Der Nachtisch hier unterscheidet sich in allem von deutschem Nachtisch - außer es gibt mal Muffins - und ich bin kaum in der Lage zu beschreiben was wir da essen. Meistens gibt es eine Art Wackelpudding, der zwar wackelt aber eher nach Vanille und Zimt schmeckt und innen sehr teigig ist, außen aber sehr glibberig (nicht so ganz mein Fall). Dann gibt es meistens noch eine Art Tiramisu - das ist zumindest das einzige Essen was dem ungefähr nahkommt. Es ist eine Sahne/Mascarpone Creme, die mit Zitrone und Keksen geschichtet wird. Dieser Nachtisch ist unser liebster, weil er deutlich leichter und weniger glibberig ist als der andere.
Nachdem wir also ordentlich viel probiert haben ging dann das Tanzen los. Vor allem Menschen plus 50 tanzten zu schnellen Liedern von denen ich meistens weder den Rhythmus noch die entsprechenden Tanzschritte verstanden habe. Es ist aber sehr lustig anzusehen. Generell ist es sehr spannend die Menschen beim Feiern zu beobachten, auch weil das hier einfach wirklich viel gemacht wird; wir waren in den zwei Monaten, die wir hier sind, schon auf 4 Geburtstagen - meistens von Leuten, die wir nie zuvor gesehen hatten - und auf 2 Hochzeiten; wenn das so weiter geht war ich hier auf mehr Hochzeiten von Leuten, die ich nicht kenne, als ich in Deutschland von Leuten war, die ich wirklich kenne. Jeder wird einfach mitgenommen, angenommen und kriegt auf jeden Fall genug zu essen (sehr wichtig!!).
Neben den ganzen Feierlichkeiten gehören Kirchenbesuche und Gebete fest zu unserem Alltag. So beten wir vor und nach jeder Unterrichtsstunde und gehen jeden Sonntag in die Messe. So langsam überstehen wir die Kirchenbesuche auch wirklich - am Anfang ist jedes Mal mindestens einem von uns beiden das Blut in die Füße geschossen und wir mussten uns hinsetzen oder rausgehen. Das haben wir immer besser raus. Wir haben aber auch schon - Stand 2.11. - schon 15 Messen besucht (in 8 Wochen!!).
Der Höhepunkt unseres sehr religiösen Lebens hier hat sich am 13.10. zugetragen. Wir hatten an diesem Freitag am Nachmittag keinen Unterricht und sind stattdessen zum Hafen gefahren um an einer Marienprozession teilzunehmen. Sämtliche Nonnen, Mönche, Priester und Ministranten sind vorgelaufen; mit Kerzen, Kreuzen und Fahnen. Dann kam ein Truck auf dessen Ladefläche eine Weltkugel angebracht war, auf der Mutter Maria stand. Drei Mädchen, vielleicht so zwischen 12 und 14 knieten dahinter. Nach besagtem Truck wurde sich dann von der allgemeinen Masse um die besten Plätze - heißt möglichst nah an der Maria - gedrängelt. Maria und mir war das herzlich egal, auch weil wir vielmehr damit beschäftigt waren der Hitze und dem damit kombinierten Deoversagen entgegen zu steuern. So kam es dann, dass wir am Ende der 3 stündigen Prozession nicht mehr vorne bei der Maria-Statue standen, sondern hinten bei dem sehr deutschen und sehr obligatorischen Krankenwagen. Scheinbar sind wir doch nicht die einzigen, denen die Hitze etwas zu setzt. Die Prozession endete, nach ca 20 gebeteten Rosenkränzen, bei einem Platz in dessen Mitte - wie könnte es anders sein? - eine Marienstatue stand. Dort wurde dann noch ein Wortgottesdienst gehalten und spätestens hier habe ich meine Entscheidung in dieses erzkatholische Land zu gehen wirklich deutlich hinterfragt. Es war doch wirklich sehr viel Religion, sehr viele katholische Hierarchien und vor allem sehr viel Statuenanbetung. So ganz konnte ich mich damit nicht identifizieren, vielleicht auch weil ich während der Prozession wirklich viel ans Feiern und “Jung sein” gedacht habe. Das kam, zumindest an diesem Nachmittag, wirklich zu kurz.
Um dem strikten katholischen Nachmittag etwas gegen zu steuern haben Maria und ich uns von der Gastfamilie verabschiedet und sind an den Strand gegangen um Fotos vom Sonnenuntergang zu machen und Muscheln zu sammeln. Als wir dabei auf einen kleinen Einsiedlerkrebs gestoßen sind, hatten wir beide den ultimativen Nordseemoment, auch wenn wir uns normalerweise in Sachen Nordsee nie einig sind. Maria ist nämlich erschreckend überzeugte Norderneyliebhaberin, was ich als Juistgirl natürlich nicht so einsehen kann. Oft geraten wir deshalb etwas aneinander, weil sich Maria einfach nicht einsichtig zeigen kann, dass Juist die bessere Insel ist.(In rationalen Momenten finde ich es allerdings nachvollziehbar, dass man als Pferdeallergikerin nicht unbedingt gerne auf eine Insel fahren will, die so fest auf Pferdekutschen statt Autos setzt. Das sage ich ihr aber natürlich nicht.)
Nach dem Nordseemoment sind wir zum Supermarkt gelaufen und haben uns Eis und Oreos gekauft. Leider hat sich das zu einer kleinen Sucht entwickelt; es vergeht hier kaum eine Woche in der wir keine Oreos essen - die besten sind die Oreos “Double stuffed”, die leider bei unserem Supermarkt um die Ecke schon ausverkauft sind. Damit haben wir natürlich nichts zu tun.
Am nächsten Tag haben wir dann einen Abstecher auf den Tais Market unternommen. “Tais” ist Tetun und bedeutet sowas wie “handgemacht”. Und so war auch der Markt. Es gab viel Schmuck, gewebte Taschen, geschnitzte Krokodile, Rosenkränze und die Umlegeschals, mit denen die Locals Fremde in ihrer Gemeinschaft willkommen heißen. Beim Umherwandern auf besagtem Markt fällt immer wieder das typisch timorlesischen Webmuster auf (siehe unten), dass die Menschen in alles möglichen Einbauen, sogar Ohrringperlen werden damit ummantelt. Dabei erinnerte mich das Weben an sich an die kleine Handwebmaschine, die wir mal besessen haben. Es ist also kein wirklicher Webstuhl in dem die Stoffe hergestellt werden, sondern eher zwei Stäbe wischen die man sehr dünne Fäden spannt und dann mit einem weiteren Stab die einzelnen, sehr bunten Fäden durch webt. Auch wenn der Markt wirklich sehr touristisch war, konnten wir einen weiteren sehr spannenden Einblick in die Kultur erlangen, auch dank Nadias Erläuterungen.
Nach unserem Tais Market Erlebnis sind wir zu Burger King gegangen, dessen Besuch ähnlich enttäuschend war, wie er auch in Deutschland immer ist. Trotzdem werde ich nicht müde zu betonen, dass für uns gerade alles besser ist als Reis mit Blattgemüse. Das Defizit an europäischem Essen bzw. den Überschuss an Reis versuchen Maria und ich zu kompensieren in dem wir zu Restaurants in der Nähe gehen. Zwar haben wir DIE perfekte Pizza noch nicht gefunden, dafür aber einen fake Italiener, der wirklich gute Nudeln macht und dem wir ca alle zwei Wochen mal einen Besuch abstatten. Letzte Woche haben wir dann schließlich den ultimativen Glücksfund gemacht; wir haben eine Bäckerei gefunden, die - auch wenn sie wie alle Bäckereien hier nur Weissbrote herstellt und ich Vollkornbrot wirklich schmerzlichst vermisse - Cupcakes herstellen, die wirklich sehr überzeugend aussehen. Sie haben auch ganz gut geschmeckt, aber hier wird einfach in vielen Backartikeln Kokusöl benutzt, was ein sehr dominanter Geschmack ist. Trotzdem hat dieser Fund wieder dafür gesorgt, dass wir uns ein bisschen wohler fühlen, einfach weil wir unsere unmittelbare Nachbarschaft immer besser kennenlernen können und uns schon sehr unabhängig bewegen können.
Zumal das Land es uns gerade in den letzten zwei Wochen eher schwer gemacht hat uns hier auf die guten Dinge zu fokussieren zu können und zu erkennen, dass wir schon einiges geschafft haben.
Zuerst einmal gab es in den letzten Wochen immer öfter Stromausfälle. Eigentlich ist das nicht schlimm, auch nicht wenn wir gerade mit dem Beamer unterrichten, wir können das schon anders ausgleichen. Letzten Donnerstag musste ich allerdings allein unterrichten und hatte mich wirklich sehr auf Beamer und Klimaanlage eingestellt. Der Beamer war leicht ersetzt, schließlich gibt es in jedem Klassenraum auch eine Tafel. Die Klimaanlage habe ich aber nach 10Minuten wirklich sehr dolle vermisst. Alleine in einem Container zu unterrichten, der sich wahnsinnig schnell von den 35Grad Außentemperatur aufwärmen lässt, ist wirklich keine Freude. Ich bin mir sehr sicher, dass ich an diesem Tag meinen Aggregatzustand geändert habe. Zum Glück ging die Klima nach anderthalb Stunden purem Leiden wieder an.
Der zweite Schocker, den Timor Leste letzte Woche für uns hatte, war schon etwas brisanter. Maria und ich hatten uns schon “Gute Nacht” gesagt und ich lag schon mit meinem Kindle im Bett als mein Bett plötzlich anfing zu Wackeln. Mein erstes Erdbeben. Im ersten Moment musste ich einfach lachen. Es war mir klar, dass es zwar ein Erdbeben war, aber kein so starkes, dass es Schäden am Haus vollziehen könnte. Trotzdem habe ich dann Maria angerufen, die ähnlich geschockt war. Es wirkt fast so als sollte es nichts geben was wir hier nicht erleben.
Wir haben dann mit unserer Gastfamilie gesprochen, auch weil ich gerne wissen wollte, was zu tun ist, wenn es mal ein starkes Erdbeben gibt. Sie haben uns versichert, dass es selten - seit 2004 nicht mehr - Erdbeben gibt, die stärker sind, als das bisschen Gewackel, was wir bemerkt haben. Falls es trotzdem mal anders kommt, sollen wir nach hinten in den Garten laufen, dort gibt es weder hohe Bäume noch sind da Häuser in gefährlicher Nähe. Es gibt aber wohl auch für solche Fälle einen Alarm.
Neben diesen, manchmal sehr beängstigenden Momenten fühlen wir uns doch sehr wohl und werden als Teil der Gemeinschaft angesehen und fühlen uns auch als Teil dessen. Das hat mir auch besonders unser Auftritt im nationalen Fernsehen gezeigt. Das CMTC, also die Schule an der wir arbeiten, wurde präsentiert. Es ging um Bildung und die Verantwortung der Jugend gegenüber ihrem Land und der Demokratie. Es war ein bisschen auch Werbeshow für das CMTC. Der Fernsehauftritt wurde im Kollegium nicht großartig angekündigt, es hieß nur wir sollen unsere “set life on Fire”-Shirts (siehe Bilder unten) anziehen und Stühle stellen. Dann kamen schon die Fernsehleute und eine Nonne, die nicht zum CMTC gehört, sondern interviewen sollte. Letzten Endes war es mehr ein Vortrag der Nonne - zumindest ist es das was ich mit meinem noch sehr wackeligen Tetun verstanden habe. Es war also vielleicht eher eine Missionierung als ein Interview. Trotzdem war es ein Heidenspass, besonders auch für die Kinder, die sogar im Fernsehen was vortanzen durften. Und ganz ehrlich; wer kann schon von sich behaupten im timorlesischen Fernsehen gewesen zu sein?!
Die letzten Tage des Oktobers schließlich, haben wir auf Atauro verbracht. Die Feiertage Allerheilige, am 1.11., und Allerseelen, am 2.11., werden groß gefeiert. In der Schule haben die Kinder frei bekommen, um in ihre Heimatstädte zu reisen, damit sie am 2. auf den Friedhöfen ihre Liebsten besuchen können. Und so hatten auch wir Urlaubszeit. Es ging nach Atauro, eine kleine Insel nördlich von Dili und erst seit wenigen Jahren ein eigenständiger District - heißt quasi ein eigenständiges Bundesland. Wir sind am 31.10. um halb sieben losgelaufen, um eine Postulantin abzuholen, die uns nach Atauro begleiten sollte. Fahren sollten wir mit einer großen Fähre “Nakroman”. Aber wie so oft, kam alles ein bisschen anders. Die Fähre konnte nicht auslaufen - warum konnte keiner so richtig sagen - und wir mussten mit einem sehr kleinen Fischerboot fahren, aus dem sie schon vor unserer Abfahrt Wasser geschöpften. Die Fahrt sollte nur 90 Minuten gehen und es gäbe ja auch jemanden, der einen rettet, falls das Boot kentert, sagte man uns. Ein richtig krass gutes Bauchgefühl hatten wir trotzdem nicht und so beschlossen wir alle technischen Geräte, die wir entbehren können, zurück zulassen. Die nächste Überraschung kam dann, als Leticia, die Postulantin, uns mitteilte, dass sie nicht mit uns fahren kann, weil die nächsten Tage - wegen den Feiertagen - keine Boote zurück nach Dili fahren und sie für diverse Aktivitäten anwesend sein muss. So saßen Maria und ich also, ein bisschen verloren, mit ca 20 anderen Menschen auf einem sehr kleinen Boot. Wie so oft in solchen Momenten mussten wir lachen, einfach weil die Situation wieder mal so anders war als gedacht. Die Tatsache, dass diese Planänderung, die vor einem Monat bei mir noch Schnappatmung ausgelöst hätte, uns nur zu einem müden Schmunzeln in Kombination mit einem Schulterzucken hinreißen kann, werte ich mal als gutes Zeichen. So ist das nun mal in Timor Leste.
Als wir schließlich unterwegs waren hatten wir eine erstaunlich gute Zeit - das Boot erwies sich als stabiler als gedacht und es hat verdammt Spaß gemacht über die Wellen zu springen. Die versprochenen Delfine haben wir aber leider nicht gesehen. Zum Glück wurden wir nicht seekrank, anders als diverse kleine Mädchen, die um uns saßen und die wir in sehr gebrochenem Tetun versucht haben abzulenken. Besonders als wir dann immer näher an die Insel kamen wurde das Meer sanfter und wir waren alle nur noch damit beschäftigt das strahlend blaue Meer und die schroffen Felsen Atauros zu bewundern. Nach weiteren 60 Minuten - die Fahrt ging natürlich keine 90Minuten sondern eher 200 - erreichten wir einen weißen Sandstrand und uns wurde mitgeteilt, dass wir hier aussteigen. Zunächst sah es so aus, als wären unsere Taschen nicht dabei - also entweder noch in Dili oder eben bei den Delfinen - und hier kam dann die tatsächliche Schnappatmung (so ganz los bin ich sie noch nicht geworden..). Niemand konnte diese Reaktion nachvollziehen, alle anderen Mitfahrer waren wieder einmal die Ruhe selbst.
Schließlich tauchte irgendwann Marias schwarze Motorradtasche auf, die sie so sehr versprochen hatte ihrem Papa heile wieder mitzubringen, und wenig später auch mein grau, pinker Rucksack. Voll gepackt ging es dann für uns zu einem Tum Tum - anders wo auch als Tuk Tuks bekannt - mit dem wir durch Palmen und über eher über einen Steinweg als über eine befestigte Straße Richtung Kloster fuhren.
Dort angekommen kam uns eine Nonne entgegen - Sister Alzira - eine ca 40jährige, sehr sorgte Schwester, man hatte uns schließlich schon viel früher erwartet. Das Kloster selbst sah eigentlich mehr nach einem Mehrfamilienhaus aus, als nach einem Kloster: es ist ein strahlend weißes Gebäude, zweistöckig, was hier sehr selten ist, und liegt direkt am Strand. Das Haus hatte wirklich erstaunlich “westliche” Standards auch wenn es keinen konstanten Strom und kein fließendes Wasser gibt. Maria und ich haben beide ein Einzelzimmer bekommen, sogar mit eigenem Badezimmer. Einen Luxus, den wir sehr genossen haben. Nach dem Essen ging es dann auf eine kleine Marienprozession (ja, schon wieder) und nach ca 40 Minuten erreichten wir eine kleine Kirche. Zu dem Zeitpunkt hatte uns die Hitze schon ganz schön zugesetzt - hier in Atauro ist es deutlich heißer als in Dili, ich würde so auf 40Grad tippen - und wir waren mehr als dankbar für einen Sitzplatz und Schatten. Generell haben wir in den Tagen in denen wir hier waren viel Zeit in der Kirche verbracht - oder zumindest mit hin und zurück laufen. Manchmal empfinde ich das als Art meditative Auszeit und manchmal fehlt mir einfach gänzlich die Geduld. Trotzdem ist mir in diesem “Urlaub” nochmal bewusster geworden warum sich so viele Mädchen - oft ja genau in meinem Alter oder sogar jünger - für das religiöse Leben “entscheiden”. Als Frau in Timor Leste hat man wenige Möglichkeiten eine unabhängige, gebildete und respektierte Frau zu werden. Selbst Nadia, die ja studiert hat und viel Geld als Lehrerin verdient, betont immer wieder wie sehr sie sich einen Mann wünscht, den sie bekochen kann und dem sie den Haushalt schmeißen kann. Nonne zu werden bietet Mädchen die Möglichkeit Bildung zu erlagen - schließlich lernen die Postulantinnen Englisch und Mathe Kenntnisse -, man ist gesellschaftlich enorm respektiert und kann gewissermassen Einfluss nehmen, man sieht die Welt - viel Nonnen werden nach Amerika, Australien, Italien oder auf die Philippinen geschickt - und man kann eigene Lebensentscheidungen treffen ohne auf eine Familie oder einen Mann zu achten. Dafür hat man aber eben auch in dem Sinne keine Familie mehr.
Umso deutlicher wird mir unser Privileg in Deutschland aufgewachsen zu sein und auch wieder dorthin zurückkehren zu können. Mit dem Bildungsabschluss, den ich erreicht habe, stehen mir so unendlich viele Türen offen, Türen von denen die Mädchen und Jungs hier nur träumen können und mir kommt es so schrecklich selbstverständlich vor. Unsere Reise nach Atauro hat mir, weil es so fern von dem doch sehr urbanisierterem Dili ist, gezeigt wie sehr Timor doch noch in einer Entwicklung steckt. Oft vergessen wir das hier, weil wir zwischen Oreos und Englischstunden eben die mangelernährten Kinder und die Wallblechhäuser alltäglich sehen und kaum mehr drüber nachdenken. Atauro ist noch ferner von allem was wir kennen und als normal beschreiben und so hat uns die Insel trotz ihrer Schönheit auch sehr schockiert.
So haben wir unsere Zeit in Atauro hauptsächlich in der Kirche oder im Meer verbracht; die Insel könnte aus einem typischen “Einsame Insel - Tropenfilm” entsprungen sein; paradiesische Strände, kaum Menschen, viele Palmen, Berge und vor allem türkis blaues Meer. Der krönende Abschluss kam dann am letzten Nachmittag; wir sind mit Madre Alzira losgezogen, eigentlich um in einem nahen lokalen Shop ein wenig nach Schmuck zu schauen. Da die Kommunikation etwas hapert, Madre Alziras Englisch ist ungefähr so gut wie unser Tetun, waren wir mehr als überrascht als sie schnurstracks am Schmuckladen vorbeigegangen ist und weiter zur Kirche gelaufen ist; wieder einmal hieß es, zuerst beten, dann das Vergnügen. Diesmal war es 45min lang Knien während zahlreiche Lieder gesungen wurden. Entsprechend erschöpft waren wir nach dem Beten, aber wir dachten, dass es jetzt weiter geht zum Schmuckladen - falsch gedacht. Wir sind abgebogen und immer weiter hoch gelaufen - bei 40 Grad in Flip Flops. Belohnt wurden wir dafür aber mit einem wirklich atemberaubenden Ausblick - siehe unten. Sowohl die Insel als auch das Meer konnten wir von oben bewundern, zumindest so lange bis es dunkel wurde. Auf dem Weg nach unten sind uns dann zahlreiche Ziegen begegnet, davon gibt es auf Atauro erstaunlich viele.
Unsere Rückreise war deutlich unspektakulärer als die Hinreise - diesmal ist das große Schiff gefahren. Damit sind wir deutlich lieber gefahren.
Tja, man sieht; immer wenn man denkt, man kennt alles, hat vieles gesehen; Erdbeben, Stromausfälle, Spinnen.. kommen neue Überraschungen und Abenteuer. Und auch wenn das manchmal bedeutet, dass ich mir nichts lieber wünsche als nachhause zu fliegen, bedeutet das gleichzeitig auch, dass es nie langweilig wird. Zum Glück können wir mittlerweile sagen, dass wir uns sowohl auf uns selbst in jeder Situation verlassen können - ganz in dem “Wir schaffen das”-Motto - aber besonders auch auf uns gegenseitig. Und natürlich auf Oreo “Double Stuffed”, die uns auch nie enttäuschen.

Der Atauro-Berg

Ich, auf dem Boot. Sehr spaßig :)

Die Marienprozession in Dili

Meerblick aus Atauro

Nochmal der Berg..

Die Cupcakes

Miriam und Maria in Atauro.

Der Hochzeitstanz :)

Beim Fernsehauftritt. Im Vordergrund, wir in unseren T-Shirts. Im Hintergrund die Postulantinnen.

Sonnenuntergang in Dili

"Mein Klassenraum" (normalerweise mit mehr Schüler*innen)

Unser Leberkäsview :)

In Dili am Strand
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Kommentare
Wow, der Ausblick von dem Berg auf Atuaro ist der Hammer. Das sieht nach einer tollen Auszeit von eurer Arbeit in der Schule aus. Respekt auch, dass ihr auch bei der etwas komplizierteren Hinfahrt nach Atauro und dem Erdbeben einigermaßen die Ruhe bewahrt habt.